Christi Himmelfahrt

Ein merkwürdiges Fest. – Wir haben Ostern gefeiert, voller Freude und Jubel und 40 Tage später nun dieses Fest, das seit dem 4. Jhd. gefeiert wird. – Kann das ein „Fest“ sein, wenn der geht, der der Grund allen Osterjubels war und ist? Es heißt: „…eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken.“ (Apg 1, 9) Ein Geschehen, das unsere Vorstellungskraft sprengt, wie schon das Auferstehungsgeschehen unseren uneingeschränkten Glauben fordert.

Aber wenn wir diesen Tag im Kontext der ihn umgebenden Feste sehen, wird deutlich, worum es geht. Jesus, der drei Jahre lang mit Worten und Zeichen und schließlich mit der Hingabe seines Lebens bezeugte, wer Gott ist und wie er ist, ist auferstanden vom Tod und ist danach Vielen erschienen, auch seinen Jüngern. 40 Tage lang hat er „vom Reich Gottes gesprochen“ (Apg 1, 3) Was mag er wohl gesagt haben? Ich gestehe, ich hätte gerne mitgehört. – Sicher aber hat er nicht mehr gesagt, als das, was er vor seinem Tod verkündet, gelebt und gewirkt hat. Aber jetzt, nach seinem Tod und seiner Auferstehung, erscheint alles noch einmal in einem anderen, großen Licht. Die Jünger hören es neu und spüren in sich eine gewaltige, geistgewirkte Kraft, die sie befähigt, das, was sie gesehen und gehört haben, zu verkündigen – im eigenen Umfeld, in weiteren Regionen und Ländern, in der ganzen Welt – damals wie heute.

Dass Jesus Christus „geht“, ist nur konsequent. Aber er lässt die Seinen nicht alleine zurück, sondern verheißt ihnen den Heiligen Geist, der sie trösten wird, ihnen aber auch Kraft, Fülle, Weisheit, Vertrauen und Mut, Freude, Liebe, Freiheit und Frieden schenken wird. Seine Jüngerinnen und Jünger werden seine Zeugen sein, so, wie er den Vater bezeugt hat. Sie werden Lichtzeichen Gottes in der Welt sein – sie und alle Getauften, damals wie heute.

Jesus geht zum Vater zurück. „…eine Wolke nahm ihn auf…“ Die Wolke ist in biblischem Verständnis ein Bild für die Gegenwart Gottes. Er kehrt zurück zum Vater, „sitzt ihm zur Rechten“, wie wir im Glaubensbekenntnis bekennen – und schenkt zugleich eine staunenswerte, große und tiefe Verheißung: der Heilige Geist, der Geist des Vaters und des Sohnes, wird kommen und bleiben. Wie Gott durch Jesus Wohnung in den Herzen der Menschen gesucht hat und sucht, so wird der Heilige Geist Menschen suchen, die sich ganz und gar Seinem Wirken öffnen, die in der Gesinnung Jesu Christi leben und wirken wollen und so dem Gott der Liebe und des Friedens ein Gesicht geben wollen in der Welt und Zeit, in der sie leben – damals wie heute.

Christi Himmelfahrt wurde von einem Theologen einmal das „Fest der Eröffnung des Himmels“ genannt. Auch hier ist uns Jesus vorausgegangen: ein Mensch, der ganz und endgültig bei Gott angekommen, von ihm aufgenommen worden ist, in der Gegenwart Gottes lebend. Der Himmel steht an diesem Tag offen. Und die Wolke, die Jesus den Blicken seiner Jünger entzog, ist zugleich der Raum der Verbindung, der Beziehung von ihm zu uns und von uns zu ihm: Seine Gegenwart. Der Himmel ist dort, „wo Gott endgültig beim Menschen und der Mensch endgültig bei Gott ankommt“. (Walter Kasper).

Himmel und Erde sind hier nicht „gnadenlos“ getrennt, sondern werden in einer unüberbietbaren Weise verbunden und vereint. Wir sind hineingenommen in die tiefe Beziehung Jesu zum Vater und sind gerufen und beauftragt, diese neu und in unserer je eigenen Weise zu leben und ihr Ausstrahlung zu geben, wo immer wir sind.

Christi Himmelfahrt ist wie ein neuer Anfang, der münden wird im Ende aller Tage, wenn der Herr „wiederkommt in Herrlichkeit“. „Dieser Jesus, der von euch fort in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen.“ (Apg 1, 11)

Mir wird im Betrachten dieses Festgeheimnisses neu bewusst, was auf dem Hintergrund dieses Festes die Feier der Liturgie, die Feier der Gottesdienste in ihrer Vielfalt bedeutet: In jeder Liturgie, in jedem Gottesdienst öffnet sich der Himmel neu. Jeder Gottesdienst, ja, jedes Element – Wort, Gesang, Geste, Haltung… – trägt dieses Bild des geöffneten Himmels in sich und lädt ein, in der Gegenwart Gottes zu sein, Seine Nähe zu hören, zu spüren, zu sehen, zu fühlen.

So ist Liturgie, so ist jeder Gottesdienst par excellence Begegnung mit Gott, durch und mit und in Jesus Christus selber.

In der „Schule des Glaubens und Betens“ geht es nun darum, in diesem Sinne Gottesdienst neu verstehen zu lernen – in der Betrachtung und Übung der einzelnen Elemente, in der Erschließung jedes Elements in seiner Tiefe und Bedeutung, auch für unseren Glauben. Geistlich lernen aus der Liturgie bewirkt eine Vertiefung und Erneuerung des Glaubens. Dazu lade ich Sie herzlich ein.

Dabei bleiben wir nicht vereinzelt, sondern üben das – im gegebenen Rahmen und den derzeitigen Reglements – auch miteinander, so, wie jeder Gottesdienst zu einem Miteinander einlädt und so, wie der Auftrag zu einem neuen, geistgewirkten Miteinander auch dem Fest „Christi Himmelfahrt“ entspringt: Jesus Christus geht zurück zum Vater und beauftragt uns, das ganze Volk Gottes, in seinem Sinne zu leben und zu wirken.

„Christus hat keine Hände, nur unsere Hände, um seine Arbeit heute zu tun. Er hat keine Füße, nur unsere Füße, um seine Wege zu gehen, um Menschen auf seinen Weg zu führen. Christus hat keine Lippen, nur unsere Lippen, um den Menschen zu erzählen von ihm, von unserem Glauben, unserer Liebe zu ihm, unserer Hoffnung, die uns erfüllt. Wir sind die einzige Bibel, die die Öffentlichkeit noch liest. Wir sind Gottes letzte Botschaft, in Taten und Worten geschrieben.“
(nach einem Text eines unbekannten Verfassers)



Texte und Impulse von: Sabine Müller, Dipl. Theol.

Sabine Müller ist als Geistliche Assistentin in der Ordensleitung im Mutterhaus der Franziskanerinnen in Gengenbach tätig. Die Diplomtheologin (Studium in Freiburg) und Kirchenmusikerin leitet u.a. die Exerzitien für die Schwestern, plant und gestaltet Gottesdienste und ist auch für deren kirchenmusikalische Umrahmung verantwortlich. Sie ist seit vielen Jahren als Organistin und Chorleiterin tätig.